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Die Filmkritik in der deutschen Nachkriegs-Tagespresse Version 1.0 Guenter Agde
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_Berlin, _Karl-Marx-Allee
Die Filmkritik in der deutschen Nachkriegs-Tagespresse. – Ein Überblick
von: Günter Agde veröffentlicht: 26.06.2013

Voraussetzungen

Dıe deutsche Filmkritik in den Printmedien war eng mit dem deutschen Kinobetrieb verbunden. Vor allem dıe medienpolitischen Strategien der Verleihfırmen bildeten einen entscheidenden Focus, auf den sich die Filmkritik fortwährend einstellen musste. Vom Film-Angebot in den Kinos hing jede Art von Filmkritik ab. Dabei stand stets der jeweils neueste Film in der Aufmerksamkeit der Kritik. Folglich wurden Uraufführungen besonders beachtet. Diese Abhängigkeit blieb über Jahrzehnte erhalten und differierte nur nach Details in den Öffentlichkeitsstrategien der Kinoindustrie und des Verleihs, so zum Beispiel bei der Platzierung des jeweiligen Films in ausgewählten Kinos und bei den Terminierungen (Woche, Monat, Jahreszeit, Feiertage wie etwa Weihnachten). Spezielle Praktiken der Verleiher im Einvernehmen mit den Kinobesıtzern, z.B. in Form von Reprisen, Matıneen, Sonderveranstaltungen, Rabattregelungen zu Familientagen und Schülervorstellungen, waren fortwährend ebenso zu berücksichtigen wie Besucherstrukturen und die Entwicklung von Sehweisen, von Steuer- und Rabattregelungen bei Eintrittspreisen. Eine Sonderform nahmen hierbei Premieren oder Uraufführungen insofern ein, als die Filmverleiher sie allemal als besondere öffentlıche Ereignisse gestalteten. Sie sollten so auch von der Filmkritik wahrgenommen werden. Dieses Beziehungsgeflecht war durchweg merkantil geprägt: Eine Filmkritik sollte immer auch Werbung für den Besuch des Films sein. Und die Filmkritiker dachten dies mit. Mögliche Konflikte zwischen persönlichen Bewertungen eines Kritikers und den Marktinteressen musste jeder Kritiker für sich selbst lösen. Der Filmkritiker fühlte sich nur sich selbst, seinem Geschmack und seinem Gewissen verpflichtet und bestand auf strikter Subjektivität.

Instrumentarien

Ein Hauptinstrument für die Filmkritik waren Pressevorführungen, die in der Regel eine Woche vor der Premiere eigens für die Kritiker unter Kinobedingungen stattfanden. Oft nahmen daran Regisseur und Autor teil, sodass Chancen für Nachfragen und Hintergrundinformationen etc. bestanden, die in der Regel gern wahrgenommen wurden. Dabei entstand dann oft ein persönliches Verhältnis zwischen Filmschöpfern und Rezensenten, was nicht immer hilfreich war.

Infrastrukturelle Entwicklungen und Bedingungen in den Zeitungen selbst wirkten auf die Filmkritik zurück: Auflagen, Wahrnehmungsgrenzen und Verbreitungsgrad; Proportionen zwischen Annoncen und Redaktionstexten; Anteil von Annoncen am Gesamtumfang des Blatts; das Verhältnis von regionaler und überregionaler Berichterstattung; der Anteil von übernommenen Agenturmeldungen. Auch ein spezifischer Erscheinungs-Rhythmus bestimmte die Platzierung von Filmkritiken: In den Kinos wechselte das Wochenprogramm von Donnerstag auf Freitag, sodass am Samstag (zur Wochenendausgabe, die in der Regel als erweiterte Ausgabe erschien) die Rezension im Blatt stehen konnte und oft auch musste. Erfahrungsgemäß hatte ein Rezensent in der Wochenendausgabe mehr Platz für seinen Text.

Von Anfang an war die Filmkritik im Feuilletonteil der Zeitungen platziert und hatte sich arbeitsteilig mit anderen Rubriken zu arrangieren, vor allem mit der Theater- und Literaturkritik. Filmkritiken wurden in der Regel nicht illustriert, erst in späteren Jahren kamen Fotos hinzu, meist Standbilder aus den besprochenen Filmen, die der Verleih kostenlos zur Verfügung stellte und auf deren Qualität weder die Zeitung noch der Filmkritiker Einfluss nehmen konnten. Die Position des Feuilletons innerhalb der Binnenstrukturen der Blätter schließlich markierte schlussendlich auch Wert und Aufmerksamkeit der Filmkritik und damit ihren kulturellen Anspruch. Und schließlich bildeten das Personal selbst, also Profil und Persönlichkeit des Rezensenten, sein Stil und sein Nimbus, einen maßgeblichen Faktor. Für die angestrebte Aktualität der Filmkritik waren auch technische Termine in den Druckereien maßgeblich wie Redaktionsschluss und Andruck.

Diese komplexen Entwicklungen vollzogen sich nicht gradlinig, sondern asynchron und über Umwege. Auch hier gab es über die Jahre hinweg eine zwar langwierige, aber letztlich doch bemerkenswerte Emanzipation: Die Filmkritik etablierte sich sukzessive zu einem festen Bestandteil des Feuilletons in den Tageszeitungen und wurde damit zu einem öffentlichen Faktor, der in besten Fällen über die einzelne Zeitung und über den einzelnen Film hinauswirkte. Die Anzahl der deutschen Filmkritiker blieb freilich stets klein und personell überschaubar.

In der NS-Zeit wandelte sich der Charakter von Filmkritik (wie der von anderen Kunstkritiken auch). Propagandaminister Goebbels verbot am 25. November 1936 unter ausdrücklichem Bezug auf den renommierten Theater- und Filmkritiker Alfred Kerr jede Art von Kunstkritik, also auch Filmkritik, und setzte an ihre Stelle den Kunstbericht, der die „Gesinnung des Nationalsozialisten” als Voraussetzung habe.[1] Kunstbericht „soll weniger Wertung, als vielmehr Darstellung und damit Würdigung sein”. Die NS-deutsche Presse hielt sich an den Befehl. Damit war der Sinn von Filmkritik annulliert und die Tradition der deutschen Filmkritik abgebrochen.

Mit dem Ende des NS-Regimes 1945 hoben die Alliierten – neben anderen Gesetzen – auch diese Regelung auf. Mit dem Neuanfang der deutschen Presse war nun auch eine wirkliche Filmkritik wieder möglich geworden.

Neubeginn oder Beginn?

Die neugegründeten und von den Alliierten lizenzierten deutschen Tageszeitungen strukturierten ihre Blätter im Prinzip wie die Zeitungen vor 1933: eine Kulturseite (Feuilleton), auf der Rezensionen zu Büchern, zu Theater und Film, gelegentlich auch Reportagen von Dreharbeiten und Ankündigungen neuer Filmprojekte erschienen. Dabei verfuhren die Zeitungen mit überregionalem Anspruch, wie z.B. die „Süddeutsche Zeitung”, damals noch in München, „Die Welt” in Hamburg, die „Frankfurter Rundschau”, die „Stuttgarter Zeitung”, der (West-)Berliner „Tagesspiegel” jeweils anders. Nach Gutdünken, Erfahrung und Geschmack der Lizenzträger, die in der Regel auch die ersten Chefredakteure wurden, gestalteten sie ihre Blätter in allen einzelnen Teilen und Rubriken, natürlich im ständigen Einvernehmen und unter der aufmerksamen Kontrolle der alliierten Presseoffiziere. Die schnell gegründeten Zeitungen der neuen Parteien und die Regionalpresse in den Ländern folgten im Prinzip diesen Entwicklungen.

In der SBZ wurden die Tageszeitungen „Neues Deutschland” (als Zentralorgan der SED) und „Tägliche Rundschau” (als deutschsprachiges Organ der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland / SMAD mit einer durchweg sowjetischen Redaktion und vielen deutschen Mitarbeitern) rasch als Leitmedien etabliert.[2] Später kamen auch hier regionale Varianten hinzu, wie z.B. die „Leipziger Volkszeitung”, die als einzige Zeitung der SBZ freilich an ein ruhmvolles Erbe anknüpfen konnte – sie war die erste Zeitung der sozialdemokratischen Bewegung in Deutschland gewesen. Ebenso bald entstanden in der DDR Betriebszeitungen wie „Fahrt frei” als Wochenzeitung der deutschen Eisenbahner, hrsg. vom Ministerium für Verkehr der DDR, ab 1949, oder die Tageszeitung „Tribüne” als Organ der Gewerkschaft, die beide viel gelesen wurden und die auch (kurze) Filmkritiken veröffentlichten. Auch die Zeitungen in der SBZ strukturierten ihre Ausgaben nach den überkommenen und bewährten Mustern der Vor-NS-Zeit mit einem gesonderten und oft ziemlich umfangreichen Feuilletonteil.

Schon früh entwickelte sich zu den Printangeboten in Ost und West auch eine Kultur-Informations- und Rezensionskonkurrenz durch die neugegründeten Rundfunksender, wobei beide Medienpartner um inhaltliche Souveränität und Arbeitsteiligkeit bemüht waren. Branchenintern konnten die DDR-Journalisten über den wöchentlichen Zeitungsausschnittdienst „Globus” die Kritiken ihrer westdeutschen Kollegen mitlesen.

Wie vor 1933 war die Filmkritik in diesen Zeitungen abhängig von dem Filmangebot in den Kinos. Insofern blieb ihnen ihre eigene frühere Anforderung erhalten: Aktualität parallel zum Kinobetrieb. Ihre Aufgabe war freilich erschwert, weil viele Kinos zerstört oder anderswie betriebsunfähig waren. Auch Verleihfirmen mussten ihre Strukturen erst neu aufbauen oder reanimieren. Nicht zuletzt spielten Fragen des Transports von Kopien und vor allem der Zensur von Kinospielplänen, die von den Alliierten in ihren Einflusssphären sehr unterschiedlich gehandhabt wurden, eine große Rolle.

Folglich nahm die Filmkritik in den ersten Jahren nach 1945 eine bescheidene Position ein – ihr Platz blieb gering: zwischen 15 und 30 Zeilen pro Spalte, selten mehr. Jedoch war sie darauf bedacht, die ihrer Meinung nach wichtigen Filme in den Kinospielplänen der Nachkriegszeit zu berücksichtigen. Die Filmkritiker rezensierten die neuproduzierten deutschen Filme, aber vor allem all diejenigen Filme aus dem Ausland, die den deutschen Zuschauern während der NS-Zeit vorenthalten worden waren und die nun mit Macht und unter kräftiger Beihilfe der Alliierten in den deutschen Kinos präsentiert wurden. Das Nachholen der europäischen Moderne und des Hollywood-Kinos via Film prägte die Rezensionen, auch wenn diese Repertoirepflege in den vier Besatzungszonen unterschiedlich verlief. Je mehr allmählich ein normaler Kinobetrieb wieder in Gang kam und je mehr die Zeitungen in den vier Besatzungszonen an der öffentlichen Meinungsbildung teilnahmen, umso deutlicher erwies sich in der Folge auch der Sinn von Filmkritik als Beitrag zu Urteilskraft und Sinnbildung im Sinne der Lizenzträger und ihrer alliierten Gewährsleute.

Den Personalbestand rekrutierten die Lizenzträger der neuen Zeitungen im engen Einvernehmen mit ihren jeweiligen alliierten Presseoffizieren über regionale Freundeskreise, durch individuelle Empfehlungen und durch realistische Bewerbungen. Das entscheidende Kriterium für ein Engagement war bei allen Personalpositionen, dass sich der Kandidat in der NS-Zeit nicht belastet und dem Regime nicht nahegestanden hatte.[3] Die Entscheidungen der Entnazifizierungskommissionen wurden bei Anstellungsmodalitäten berücksichtigt. Favorisiert wurden Kandidaten mit erkennbarer oder nachweisbarer Anti-NS-Haltung. Wünschenswert waren ein bildungsbürgerlicher Hintergrund und eine Ausbildung, journalistische Vorkenntnisse und stilistische Fertigkeiten sowie individuelle Flexibilität. Im Falle der Rezensenten war die Kenntnis der Traditionen des Feuilletons der Weimarer Zeit von Vorteil, sodass sie etwa von den Großen dieses Fachs wie Alfred Kerr und Alfred Polgar[4] wussten und ein Grundwissen über Filmentwicklungen und Filmindustrie hatten. Ob sich diese Wünsche auch bewährten, bemerkten Lizenzträger-Chefredakteure und Presseoffiziere bald und handelten danach.

So starteten in dieser Zeit auch die später überregional bekannten Filmkritiker wie etwa Gunter Groll bei der „Süddeutschen Zeitung” oder Friedrich Luft bei der (Ostberliner) CDU-Zeitung „Neue Zeit”.[5] Herbert Jhering, der bereits vor 1933 als Theater- und Filmrezensent bekannt geworden war, konnte sein Kritikertätigkeit fortsetzen und an seine frühere Leistung anknüpfen.[6] Hans-Ulrich Eylau kam als Film- und Theaterkritiker zur „Täglichen Rundschau” und wechselte später zur „Berliner Zeitung”.[7]

Als Berufsorganisation der Journalisten fungierte der Verband der deutschen Presse, der bereits 1945 vom Alliierten Kontrollrat genehmigt worden war, später die Gewerkschaft „Kunst und Schrifttum”. Sie war auch für Filmkritiker zuständig, nahm tarifliche und legitimatorische Interessen wahr (individuelle Presseausweise) und sorgte sich mit sporadischen Zusammenkünften und Seminaren um Aus- oder Weiterbildung, war jedoch inhaltlich im Prinzip für die Profession bedeutungslos. Die Filmkritiker jener Jahre haben nicht für die Filmindustrie gearbeitet, indem sie etwa Drehbücher schrieben oder anderweitig mit Produktionsfirmen verbunden waren.[8] Produktions- und Verleihfirmen gaben interne Informationsbulletins heraus, die die Kritiker in der Regel als Zulieferung von Hintergrundmaterial nutzten.

Der personelle Kreis der Filmkritiker blieb – wie vor 1945 und auch vor 1933 – eine Männer-Domäne. Erst vergleichsweise spät schrieben sich einzelne Frauen mit markanter Stimme in die deutsche Nachkriegs-Filmkritik ein: Karena Niehoff im „Tagesspiegel”,[9] Rosemarie Rehahn in der DDR-Wochenzeitschrift „Wochenpost”. Zu ihnen gehörte später noch Renate Holland-Moritz, die in der (wöchentlich erscheinenden) DDR-Satire-Zeitschrift „Eulenspiegel” regelmäßig Filmkritiken schrieb, die – infolge des Satire-Mantels der gesamten Zeitschrift – einen Sonderstatus in Anspruch nehmen konnten.[10]

Das Kritik-Verständnis der Filmkritiker in der deutschen Nachkriegszeit knüpfte in inhaltlichem Verständnis, Anspruch auf individuelle Äußerung und Behauptung der kulturellen Mission des Films umstandslos und erstaunlich schnell an diejenigen Traditionen und Maßstäbe an, die vor 1933 diese Landschaft bestimmt hatten.

Sonderfall Berlin

Bis zum Mauerbau 1961 bildeten in Berlin die Filmkritiker einen Zirkel eigener Art und nahmen insofern einen Sonderstatus gegenüber der Bundesrepublik und der DDR ein. Im Kinobetrieb gab es über die Sektorengrenzen hinweg einen lebhaften, oft inoffiziellen Austausch: Die Filmkritiker in beiden Teilen der Stadt besuchten gegenseitig die Filmpremieren und berichteten darüber (wie auch ihre Kollegen Theaterkritiker). Und natürlich nahmen alle Berliner Rezensenten gegenseitig die Texte der Kollegen wahr. Das war ein zwar interner, freilich normaler fachlicher Austausch unter anormalen politischen Bedingungen. Dass dabei in den Texten nicht an politischen Anzüglichkeiten, an Ironie und auch an scharfer Polemik gespart wurde, lag im Charakter dieses historischen und politischen Sonderfalls der geteilten Stadt unter vier Besatzungsmächten begründet.

Diese Verwicklungen spitzten sich 1958 zu einem einmaligen, mittleren politischen Zwischenfall zu, dessen Komponenten schlaglichtartig die Verquickung von Film, Filmkritik und politischen Nachkriegs-Komponenten im Brennpunkt der zwar geteilten, aber offenen Stadt spiegelte. Der bundesdeutsche Spielfilm „Der Arzt von Stalingrad” (Regie Géza von Radvanyi, nach dem gleichnamigen Roman von Heinz G. Konsalik) war am 20. Februar 1958 in Stuttgart uraufgeführt worden und gelangte im Laufe des Frühsommers in die Westberliner Kinos. In einer harschen Invektive forderte die sowjetische Botschaft in Ostberlin vom Westberliner Senat, die Vorführungen des Films in Westberliner Kinos zu verbieten.[11] Der Senat wies das zurück. Charakter und Struktur dieses „Zwischenfalls” deuten auf eine konzertierte Aktion außenpolitisch-diplomatischer Natur hin, die den Film zum Vorwand nahm, um die Dominanz der Sowjetunion in allen Lebensfragen der Stadt Berlin zu demonstrieren. Der Film wurde somit von einer normalen Filmkritik ausgenommen und zu einem Politikum stilisiert. Die Ostberliner Filmkritiker konnten dann nichts anderes mehr tun, als in die Verdammung des Films einzustimmen, ihn also – erkennbar aus politischen Gründen – zu verreißen.[12] Sichtbar wird in dieser Episode aber auch, wie die Ostberliner Filmkritik zunehmend unter die ideologische Deutungshoheit der Besatzungsmacht und damit auch der DDR-Oberen geriet.[13]

Früher Nachwuchs

Die Filmkritiker, die der 1945er-Gründergeneration nachfolgten, die also in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre ihre Tätigkeit begannen, kamen über einen eher normalen, alltäglichen Weg, der nicht mehr von dem Bruch durch die NS-Zeit und von der Not der unmittelbaren Nachkriegszeit bestimmt war, zu ihrer Profession. Als Volontäre in Zeitungen (oft in der Provinz) konnten sie sich mit Begabung und Ehrgeiz zu den überregionalen Zeitungen „hocharbeiten” und dort ihre Positionen etablieren, wie etwa Horst Knietzsch, der von einer Thüringer Zeitung als Filmkritiker zum SED-Zentralorgan „Neues Deutschland” kam und dort ideologiebestimmend bis zum Ende der DDR blieb. Werner Pfelling löste als Kritiker der FDJ-Tageszeitung „Junge Welt” den ausgebildeten Schauspieler und Journalisten Günther Stahnke ab, der zum Spielfilmregisseur avancierte. Heinz Hoffmann arbeitete lange Jahre bei der Ostberliner „Nationalzeitung” (Organ der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands/NDPD), Günter Sobe bei der „Berliner Zeitung”.

In der Bundesrepublik war die Karriere von Filmrezensenten nahezu traditionell zu nennen: Über ein Studium der Germanistik oder der Theaterwissenschaften, pragmatisch nach Begabung und Neigung durch Volontariate an Provinzzeitungen flankiert, „arbeiteten” sie sich dann immer höher, wie Volker Baer beim „Tagesspiegel”[14] und Heinz Kersten bei der „Frankfurter Rundschau”.[15]

In den regionalen Blättern in Ost und West schrieben häufig die Kulturredakteure auch Filmkritiken, wie Klaus Hannuschka in der „Märkischen Volksstimme” Potsdam (Organ der SED-Bezirksleitung Potsdam) oder der freiberufliche Addi Jacobi in der (Chemnitzer/Karl-Marx-Stadt) „Volksstimme”. Manche verzichteten auch auf die Nennung von Autorennamen. Viele der Kritiker in Ost und West arbeiteten zeitgleich für den Rundfunk, wie Heinz Kersten, oder später dann für Filmzeitschriften. Auch schrieben einige für Filmpublikationen in Sammelbänden. Und: Die meisten Filmkritiker in Ost und West arbeiteten freiberuflich, was ihnen in gewisser Weise Freizügigkeit gab, sie aber andererseits auch an ihren Publikationsort und an gewisse finanzielle Abhängigkeiten band.

Ausbildung

Generell wurden in Deutschland keine Filmkritiker ausgebildet. Objektiv war der zahlenmäßige Bedarf an Filmkritikern zu gering, als dass sich in Ost und West eine gezielte akademische Ausbildung rentiert hätte. In Westdeutschland setzte sich der traditionelle Weg über Volontariate und Studium und diverse journalistische Umwege fort, bis ein Kritiker seine Position in „seiner” Zeitung gefunden hatte. In der DDR wurde ab 1951 eine allgemeine akademische Ausbildung von Journalisten institutionalisiert: Auf Anweisung der SMAD wurde in Leipzig ein selbstständiges Institut für Journalistik eingerichtet, an dem Journalisten in einem vierjährigen Studium ausgebildet wurden. Im letzten Studienjahr wurde ein Spezialstudium absolviert, das auf den späteren Beruf vorbereiten sollte. Das Leipziger Institut galt bis zum Ende der DDR als Hochburg ideologischer Indoktrination durch die SED.[16] Soweit bekannt, haben die Jahre dieser Ausbildung und Spezialisierung keinen profilierten DDR-Filmkritiker hervorgebracht.

Ebenfalls Anfang der 1950er-Jahre wuchsen in der DDR Forderungen nach Qualifizierung der Filmkritik mit deutlicher Politisierung. Die Friedrich-Schiller-Universität Jena schlug als studienergänzende Maßnahme die Einrichtung spezieller Filmseminare über vier Jahre mit dem Berufsziel Filmkritiker oder -wissenschaftler vor. Das Projekt wurde aber nur im Rahmen des dortigen Studentenklubs realisiert. Seine engagierten Initiatoren verließen die Universität: Heinz Baumert wechselte zur Filmhochschule Babelsberg und übernahm später als Chefredakteur die Zeitschrift „Film-Wissenschaftliche Mitteilungen”. Wenzel Renner wurde Dramaturg beim DDR-Fernsehen. Auch an der 1954 gründeten Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg (HFF) wurden keine Filmkritiker ausgebildet. Lediglich einzelne Absolventen der dortigen Fachrichtung Dramaturgie avancierten später zu Filmkritikern, wie Wolfgang Gersch, der Filmkritiken für die Gewerkschaftszeitung „Tribüne” schrieb.

Ende der1940er-Jahre wurde in der DDR die sogenannte Volkskorrespondentenbewegung[17] initiiert: Berufstätige sollten als freie Verfasser von Leserbriefen ihre Meinung zu lokalen und später dann auch zu politischen Fragen äußern. Sie hatten keine Verträge mit den Redaktionen, ihre abgedruckten Zuschriften wurden jedoch honoriert. Entscheidungen über Abdruck und über Kürzungen traf der zuständige Redakteur. Die Verfasser gingen von ihrer persönlichen Befindlichkeit und Bildung aus. Sinn der landesweiten Kampagne war es, eine Vox populi zu organisieren: Die „Meinung des Volkes” sollte in die politischen Entscheidungsfindungen der DDR-Oberen eingehen. Damit wollte man öffentlich auch so etwas wie eine Art Basisdemokratie demonstrieren. Die Bewegung geriet schnell in die Propagandamaschinerie der SED-Führung, wurde schematisiert und verkümmerte zur schieren Akklamation.

Während dieser Entwicklung entstand jedoch der Wunsch von Funktionären und auch von einzelnen dieser Korrespondenten, sich über Filme in den Kinos und zu Details des Kinobetriebs zu äußern. Viele solcher Äußerungen wurden abgedruckt, jedoch immer auf den Leserbriefseiten und nicht etwa anstelle regulärer Filmkritiken, was durchaus ein sichtbares Kennzeichen für die Relativierung dieser Äußerungen war. Die Texte waren durchweg mindestens geschmäcklerisch oder politisch einseitig. Aus dieser Bewegung ging kein professioneller Filmkritiker hervor. Die stille Hoffnung der Initiatoren, aus diesen Schreibern professionelle Filmkritiker zu gewinnen, erfüllte sich nicht. Branchenintern war bekannt, dass Redakteure und Funktionäre solche Texte oft selbst verfassten („türkten”), um bestimmte Meinungen oder Nachrichten zu lancieren. Zwischenzeitlich tauchte innerhalb dieser Bewegung die Überlegung auf, dass sich mehrere Volkskorrespondenten oder gar Arbeiterbrigaden zusammentun sollten, um kollektive Filmkritiken zu schreiben. Der gemeinsame Streit beim Verfassen einer solchen Kritik sei der beste Weg, so die Vorstellung, um zu einem „richtigen” Urteil zu kommen. Auch diese Form erwies sich bald als Irrtum. Die Forderung, ein oder mehrere Kritiker sollten das Drehbuch des zu besprechenden Films vor der Ansicht des Films und vor der Kritik lesen, erwies sich ebenfalls als unsinnig. All diese Versuche lösten nur Irritationen aus, beförderten zwar in einigen Fällen lokale Debatten um einzelne Filme, zeigten aber schlussendlich nur, dass die professionelle Filmkritik nicht zu ersetzen war.

Kampagnen, mittels Leserbriefen die Rezeption von Filmen zu beeinflussen, hat es in der bundesdeutschen Presselandschaft nicht gegeben, mit einer – mittlerweile legendären – Ausnahme: Der Spielfilm „Die Sünderin” (1951, Regie Willi Forst) rief heftige Kritik klerikaler Kreise hervor und führte zu offener, scharfer Polemik, die mit Leserbriefen und offiziellen Texten von Kirchenfunktionären bestückt wurde.[18]

Tatsächliche Krise und scheinbare Krise

Anfangs der 1950er-Jahre eröffnete die sogenannte Formalismusdiskussion einen Feldzug zur Etablierung stalinistischer Kunstauffassungen in der DDR. Damit geriet die Kunstentwicklung in der DDR in eine existenzielle Krise, die lange anhielt und auch die Filmproduktion der DEFA erreichte. Die Filmkritik wurde in diese Debatte, die der Sache nach eine Disziplinierung der Künste und eine Dogmatisierung nach Stalinschen Regeln bedeutete, hineingezogen. Von Seiten der SED-Parteiführung wurde anhaltend kritisiert, die Filmkritik unterstütze zu wenig die eigene Filmproduktion der DEFA, sie berate die Künstler zu wenig und unterschätze die Vorbildfunktion der sowjetischen Filmkunst.[19] Die Krise äußerte sich vordergründig in scharfen Polemiken gegen einen eigenen Stil der Verfasser in ihren Filmkritiken. Die stilistischen Eigenarten des Kritikers Alfred Kerr (bezeichnenderweise nicht seine Urteile) wurden als formalistisch und untauglich für die aktuelle Filmkritik angeprangert. Gemeint waren freilich die zuweilen herben Urteile von DDR-Filmkritikern über manche DEFA-Filme, ohne dass in den Debatten Kritikernamen genannt wurden. Ironischerweise setzte aber gerade der Bezug zu Kerr eine Markierung: Die eigene Meinung und ein eigener Stil machten nach dem Berufsethos der meisten DDR-Filmkritiker den Sinn ihrer Arbeit aus. Und der propagandistische Bezug auf Kerr war insofern zynisch, als Kerrs Texte in der DDR nicht gedruckt vorlagen und nur der sie kennen (und also auch beurteilen) konnte, der sie vor 1933 gelesen hatte. Der Filmkritik in der DDR wurde diese Diskussion aufgezwungen, sie musste darauf reagieren, ohne Auslöser oder Beförderer zu sein.

Die Filmkritikerkonferenz von 1953 führte diese Disziplinierung fort.[20] Erst Jahre später kam es parallel mit der Entwicklung der DEFA-Produktion allmählich zu einer Entspannung, eine Entwicklung, die dann auch von neuen, jüngeren Kritikern begleitet wurde. Auch die Idee kollektiver Filmkritiken war nun endgültig ad acta gelegt worden. In der Bundesrepublik hat es eine solche Krise nicht gegeben. Die krisenhaften Erscheinungen der bundesdeutschen Filmkritik hatten andere Ursachen.

Mit der Gründung spezieller Filmfachzeitschriften – in der DDR 1952 die „Deutsche Filmkunst”, in der Bundesrepublik 1957 die „Filmkritik” – setzte ein Differenzierungsprozess ein, der eine strikte und im Folgenden zunehmende Arbeitsteiligkeit zwischen Filmkritiken in der Tagespresse und Filmkritiken in den Fachzeitschriften begründete. Der Stellenwert von Tageszeitungskritiken glich sich der fortschreitenden Wandlung im Öffentlichkeitsverständnis von Film an, zumal auch das Fernsehen zunehmend auf diesem Felde Aufmerksamkeit beanspruchte.


  1. Zitiert nach: http://kunst.gymszbad.de: kunst.gymszbad.de/nationalsozialismus/politik/kunstbericht.htm, (28.10. 2011).
  2. Für die SBZ siehe dazu: Peter Strunk, Zensur und Zensoren, Medienkontrolle und Propagandapolitik unter sowjetischer Besatzungsherrschaft in Deutschland, Berlin, 1996, sowie Peter Strunk, Sicherheit ging vor. Aufbau und Kontrolle der deutschen Presse unter sowjetischer Besatzung, online unter http://pressegeschichte.docupedia.de/wiki/Sicherheit_ging_vor_Version_1.0_Peter_Strunk.
  3. Eine Ausnahme: Frank Maraun war Referent in der Filmabteilung des NS-Propagandaministeriums gewesen und als solcher maßgeblich, auch publizistisch, an der NS-Filmpolitik beteiligt. Unter dem Pseudonym Erwin Goelz arbeitete er ab 1947 beim Stuttgarter Sender und ab 1949 als Filmkritiker der „Stuttgarter Zeitung”. Erst 1962 wurden seine Vergangenheit und seine doppelte Identität aufgedeckt, die „Stuttgarter Zeitung“ beendete 1963 die Zusammenarbeit mit ihm.
  4. Dies war insofern schwierig, als die Texte diese Kritiker nicht verfügbar waren. Sie erschienen erst sehr viel später wie z.B. ein Sammelband von Alfred Polgar, Bei Lichte betrachtet, Reinbek 1970.
  5. Der Film- und Theaterkritiker Friedrich Luft wechselte später zur „Welt“ und dann zum Berliner Sender Rias. Vgl. auch den Sammelband von Friedrich Luft, Stimme der Kritik, Velber bei Hannover 1965.
  6. Exemplarisch ist dies in der dreibändigen Kritikensammlung von Herbert Jhering, Von Reinhardt bis Brecht., Vier Jahrzehnte Theater und Film, Berlin 1961, nachzulesen; siehe auch „Herbert Jhering“ (Band 12 der Reihe Film & Schrift), hrsg. von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, München 2010.
  7. Vgl. Hans Ulrich Eylau. Kritiker, Band 13 der Reihe Film & Schrift, hrsg. von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, München 2011.
  8. Eine Ausnahme bildete der Ostberliner Klaus Wischnewski, der als Dramaturg bzw. Chefdramaturg bei der DEFA arbeitete und in der Monatszeitschrift „Deutsche Filmkunst“ und später – unter dem Pseudonym Peter Ahrendt – in „Die Weltbühne“ Filmkritiken über Filme seiner Firma schrieb.
  9. Vgl. Karena Niehoff, Feuilletonistin und Kritikerin, Band 4 der Reihe Film und Schrift, hrsg. von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, München 2006.
  10. Vgl. Renate Holland-Moritz, Die Eule im Kino, Berlin 1981; dies., Die Eule im Kino. Neue Filmkritiken, Berlin 1994 und dies., Die Eule im Kino. Neue Filmkritiken 1991 bis 2005, Berlin 2005.
  11. o. V. , Hetzfilm im „Gloria“-Verleih, Der Morgen, 29. Juli 1958
  12. Willi Köhler, Ein gefährlicher Film, „Der Arzt von Stalingrad“ muss in Westberlin verboten werden. „Neues Deutschland“, 29. Juli 1958
  13. Die Verästelungen dieser Abhängigkeiten müssen noch genauer untersucht werden. Für den Bereich des Schauspieltheaters und der Theaterkritik hat Joachim Werner Preuß einen ersten materialreichen Vorschlag gemacht, vgl. Joachim Werner Preuß, Theater im ost-/westpolitischen Umfeld, Nahtstelle Berlin 1945-1961, Berlin 2004
  14. Wie es der langjährige Filmkritiker des Berliner „Tagesspiegel“ Volker Baer für sich beschreibt: Worte / Widerworte, Volker Baer, Texte zum Film 1958–2007, hrsg. von Ralf Schenk, Marburg 2009, S. 20ff.
  15. Vgl. Christel Drawert (Hg.), So viele Träume. DEFA-Film-Kritiken von Heinz Kersten, Berlin 1996.
  16. Detailliert dazu: Angelika Holtermann, Rotes Kloster und die Individuen, in: Simone Barck/Martina Langermann/Siegfried Lokatis (Hg.), Zwischen „Mosaik“ und „Einheit“, Berlin 1999, S.584ff.
  17. Siehe auch Sigrun Richter, Die Volkskorrespondenten im Pressesystem der DDR, online unter http://pressegeschichte.docupedia.de/wiki/Volkskorrespondenten_Version_1.0_Sigrun_Richter (10.2.2013).
  18. Ein guter Überblick unter http://www.censuriana.de/01themenSS200007suenderin.htm (21.6.2013).
  19. Vgl. Heinz Kersten, Filmkritik, Kapitel IX / 3, in: ders., Das Filmwesen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, hrsg. vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonn/Berlin 1963, S. 308ff.
  20. Protokoll der Arbeitstagung der Filmkritiker und Redakteure der Deutschen Demokratischen Republik am 24. März 1953 in Berlin, bearbeitet von Günter Pilz und Albrecht Giller, hrsg. vom Verband der deutschen Presse Berlin, o. J. (1953).
[[HasCaption::Premiere des sowjetischen Filmepos "Befreiung" 1972. Foto:Joachim Spremberg. Quelle: [1]][[HasCaption::_Kino_%22International%22.jpg Das Bundesarchiv].| ]]
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