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Kuhn Einführung Wörterbuch der sozialistischen Journalistik
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Einführungstext zum hier dokumentierten Wörterbuch der sozialistischen Journalistik, Herausgegeben von der Sektion Journalistik der Karl-Mrx-Universität Leipzig, 1979
Siehe auch
Artikel: Ralph Jessen Diktatorische Herrschaft als kommunikative Praxis. Überlegungen zum Zusammenhang von „Bürokratie“ und Sprachnormierung in der DDR-Geschichte (01.06.11) Fabian Kuhn Das Wörterbuch der sozialistischen Journalistik (15.07.14)
Hauptfoto: File:Rotes kloster.jpg
Das sog. "Rote Kloster", ehemals Institut für Journalistik der Universität Leipzig, Quelle: Wikimedia Commons
Das Wörterbuch der sozialistischen Journalistik
von: Fabian Kuhn veröffentlicht: 15.07.2014

Jede Zeit, jedes Milieu und jedes politische System hat den Charakter, eigene Ausprägungen zu entwickeln, und steht damit normativ für eine gewisse Eigenart oder den Eigensinn einer bestimmten Epoche, einer sozialen Schicht oder auch einer ganzen Gesellschaft. Dies äußert sich nicht nur in Form von technischen Entwicklungen, kulturellen Erzeugnissen, Denkweisen und generellem Habitus, sondern wird oftmals auch anhand der Sprache deutlich. Damit ist weniger die sogenannte Muttersprache gemeint, als vielmehr die für eine spezifische Gruppe gängige Artikulationsweise.

Über Sprache oder Sprachgebrauch ist viel geschrieben wurden. Wörterbücher gibt es nahezu über alles und jeden, und natürlich sind auch zur Sprache in der DDR bereits mehrere Arbeiten erschienen.[1] „Das Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“ ist allerdings keine historisch-wissenschaftliche Untersuchung eines DDR-Phänomens, sondern ein zeitgenössisches von der SED initiiertes Nachschlage- und Lehrbuch, das speziell zur Schulung journalistisch tätiger Personen dienen sollte. In diesem Fall handelt es sich also nicht um typische in der DDR verwendete Begriffe, wie zum Beispiel Broiler oder Intershop, die in der Bundesrepublik eher unbekannt waren, sondern um Wortschöpfungen, die im Sinne der SED-Ideologie entwickelt respektive verbreitet wurden, um bestimmte zweckmäßige und auch propagandistische Aufgaben zu erfüllen. Dabei transportieren viele dieser Begrifflichkeiten, damals wie heute, ganz eigene Konnotationen. Die Beschäftigung mit sprachlichen Zeugnissen verlangt deshalb zwangsläufig, die Methoden der Begriffsgeschichte respektive der Historischen Semantik entsprechend zu berücksichtigen. Konkret besagt dies, die Bedeutungsebenen von bestimmten Begriffen zu analysieren, sie auf ihre Historizität hin zu untersuchen und sie angemessen in den kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Kontext einzufügen.[2]

Das „Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“, herausgegeben 1979 von der Sektion Journalistik der Universität Leipzig, ist eine eindrucksvolle Quelle dafür, wie Sprache von staatlicher Seite aus operationalisiert worden ist, und verdeutlicht darüber hinaus, welche Wichtigkeit der SED-Staat dieser Disziplin und überdies dem Journalismus im Allgemeinen zuwies. Allein der Terminus „sozialistische Journalistik“ weckt so viele Assoziationen, dass es angemessen und wichtig ist, dem Wörterbuch ein paar grundlegende Erklärungen voranzustellen.

Die DDR verstand sich selbst als sozialistischer Staat, dem die Theorie der marxistisch-leninistischen Weltordnung zugrunde lag. Vermittelt wurde diese neue Ordnung besonders nachhaltig durch die marxistisch-leninistische Gesellschaftswissenschaft, die innerhalb der gleichnamigen Institute an den Universitäten der DDR gelehrt wurde. Einer ihrer zahlreichen Unterdisziplinen, der sozialistischen Journalismuswissenschaft, wurde dabei eine besondere Aufmerksamkeit zugeschrieben, war doch die Journalistik beziehungsweise die Presse und deren Rolle im sozialistischen Gesellschaftsmodell von außergewöhnlicher Prägnanz. Lenins berühmte Worte von der Presse als „stärkste Waffe der Partei“ sind oft zitiert wurden und beschreiben sehr direkt deren angestrebte Funktion als Instrument der Massenbeeinflussung, und auch die Journalisten selbst waren sich ihrer Aufgabe durchaus bewusst: „Wir Journalisten sind exponierte Kämpfer der Partei“.[3]

Diese Selbsteinschätzung kam nicht von ungefähr, sondern war das Resultat einer seitens der SED explizit ausgerichteten Ausbildung. Das Journalistikstudium in Leipzig war einzigartig, und „wer Journalist werden wollte in der DDR, […] der musste durch diese Kaderschmiede“.[4] Zunächst als Hauptfach an der Universität angeboten, folgte 1954 die Gründung einer eigenen Fakultät für Journalistik. Nach einer erneuten Reform wurde aus der Fakultät die Sektion Journalistik. In dieser Sektion, der Volksmund sprach vom „Roten Kloster“, betreuten im Schnitt rund 80 Lehrende etwa 400 Studenten. Diese Relation verdeutlicht schon die Intensität, mit der der Journalistennachwuchs ausgebildet wurde. Zusätzlich dazu bestand seit 1965 die Möglichkeit eines Studiums direkt an der Fachschule für Journalistik, und damit war die Journalistenausbildung in Leipzig ab den späten 1960er-Jahren das Maß aller Dinge. Hier studierte die Elite, und bis 1989 brachte die Leipziger Journalistenausbildung an die 5000 Absolventen hervor.[5]

Ausnahmen bestätigten natürlich auch bei der Journalistenausbildung in der DDR die Regel. Brita Christov, Rundfunkredakteurin beim DeutschlandRadio, berichtete in einer Gesprächsrunde über ihre journalistischen Erfahrungen in der DDR. Eher klassisch geisteswissenschaftlich an der Humboldt-Universität zu Berlin ausgebildet, kam Christov über Umwege zum Journalismus. Das ihr vorgelegte „Journalistische Handbuch der Deutschen Demokratischen Republik“ von 1960, so etwas wie ein Vorgängerwerk des Wörterbuchs, kannte sie nach eigener Aussage nicht. Das war „der Sprachgebrauch, wie es damals so war“, beschreibt es die Journalistin, die die darin formulierten Ansprüche an den von der SED vorgezeichneten Typus des sozialistischen Journalisten für sehr theoretisch hält. Zudem zweifelt sie die Ausnahmestellung der Leipziger Journalistenausbildung an.[6]

Diese Erfahrungen und Einschätzungen von Brita Christov sind sicherlich ambivalent zu deuten. Natürlich sah die Praxis im Alltag eines Journalisten oft anders aus, als von der Partei definiert und vorgegeben. Andererseits erfuhr Christov ihre Ausbildung in den 1960er-Jahren, und zu diesem Zeitpunkt befand sich die Journalistik in Leipzig noch in ihrem programmatischen Aufbau und hatte dementsprechend auch noch nicht den hohen Stellenwert wie spätesten ab den 1970er-Jahren. Das „Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“ datiert sogar aus den Endsiebziger-Jahren und wurde folglich erst ab diesem Zeitpunkt zum Lehrbuch für den journalistischen Nachwuchs. Der oben erwähnte Vorgänger war gewiss nicht so systematisch in die Ausbildung integriert wie später das Wörterbuch, da diese sich im Erscheinungsjahr 1960 ja noch im Aufbau befand.

Trotz einiger Ausnahmen war die Journalistikausbildung in Leipzig auf jeden Fall eine Klasse für sich. Der Begriff des Journalisten war in der DDR geschützt und durfte nur von den Leipzigern als Titel verwendet werden. Nur dort konnte der Beruf des Journalisten offiziell erlernt werden. Das „Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“ spielte eine wichtige Rolle bei der Ausbildung der Studenten und sollte dazu beitragen, einen klar definierten Typus des Journalisten zu formen. Inhalt und Diktion dieses Nachschlagewerks sollten zum Rüstzeug der angehenden Journalisten werden, die später an exponierter Stelle ihre Aufgaben wahrnehmen würden. „Durch Wort und Bild nimmt er [der Journalist, Anm. FK] zielgerichtet auf Herausbildung, Entwicklung und Festigung des sozialistischen Bewußtseins [sic] des Volkes Einfluss“, ist diesbezüglich im Wörterbuch nachzulesen. Des Weiteren beinhaltet das Anforderungsprofil des (künftigen) Journalisten selbstverständlich auch, den Auftrag der Partei entsprechend zu erfüllen, denn weiter heißt es, „der sozialistische Journalist ist Funktionär der Partei der Arbeiterklasse […], der mit journalistischen Mitteln an der Leitung ideologischer Prozesse teilnimmt“.[7]

Grundsätzlich legte die Abteilung Agitation im Zentralkomitee der SED die entsprechenden Sprachregelungen fest, welche dann „von oben nach unten mündlich weitergegeben“ wurden.[8] Das „Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“ definierte journalistische Begrifflichkeiten im Sinne der SED, fasste diese erstmals systematisch und ideologisch fundiert zusammen und schuf damit gleichzeitig ein Lexikon und ein Lehrbuch. Ziel der Verfasser war es nach eigener Aussage, „klar umrissene Termini“ zu schaffen und dem „journalistischen Nachwuchs“ als auch den schon „praktisch tätigen Journalisten“ einen Leitfaden für ihre Arbeit geben zu können.[9]

Das „Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“ stellt heute eine interessante Quelle zur Presse- und Journalismusgeschichte der DDR dar, und als solche ist es natürlich auch zu bewerten. Mit dem Selbstverständnis von Presse und journalistischer Tätigkeit in freiheitlichen und demokratischen Systemen haben die dort vermittelten Begrifflichkeiten und ideologischen Theorien selbstverständlich nicht viel gemeinsam, und beim Lesen sollte stets der historische Kontext gegenwärtig sein. Für die wissenschaftliche Arbeit und insbesondere um einen Eindruck und ein Empfinden für den Sprachgebrauch im Bereich der Ausbildung und praktischen Tätigkeit des Journalisten in der DDR zu entwickeln, ist dieses Nachschlagewerk für die DDR-Pressehistoriografie von bedeutsamem Wert.

Anmerkungen

  1. Zum Beispiel: Birgit Wolf, Sprache in der DDR. Ein Wörterbuch, Berlin/New York 2000.
  2. Kathrin Kollmeier, Begriffsgeschichte und Historische Semantik, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 29.10.2012, online unter http://docupedia.de/zg/Begriffsgeschichte_und_Historische_Semantik_Version_2.0_Kathrin_Kollmeier.</sup>
  3. Jürgen Wilke, Presseanweisungen. Organisation, Themen, Akteure, Sprechakte. Veröffentlicht am 23.5.2011, in: Pressegeschichte Docupedia, online unter http://pressegeschichte.docupedia.de/wiki/Presseanweisungen_Version_1.0_Juergen_Wilke#cite_note-15.
  4. Michael Groth, Wer aus Leipzig kommt, ist verwendungsfähig, in: Willi Steul (Hrsg.), Genosse Journalist. Eine Sendereihe im DeutschlandRadio Berlin, Mainz 1996, S. 20.
  5. Anke Fiedler, Medienlenkung in der DDR, Köln 2014, S. 94.
  6. Unser Erbe – Genosse Journalist. Gesprächsrunde mit Brita Christov, Hans-Hermann Langguth, Karl Wilhelm Fricke und Ernst Elitz, in: Willi Steul (Hrsg.), Genosse Journalist. Eine Sendereihe im DeutschlandRadio Berlin, Mainz 1996, S. 176.
  7. Wörterbuch der sozialistischen Journalistik, hrsg. von der Karl-Marx-Universität Leipzig, Sektion Journalistik. Durchgesehene Nachauflage 1979, S. 115-116.
  8. Martin Wagner, Wörter sind Waffen – Das Diktat der Wortwahl, in: Willi Steul (Hrsg.), Genosse Journalist. Eine Sendereihe im DeutschlandRadio Berlin, Mainz 1996, S. 46.
  9. Vorwort. Wörterbuch der sozialistischen Journalistik, hrsg. von der Karl-Marx-Universität Leipzig, Sektion Journalistik. Durchgesehene Nachauflage 1979.
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