From DDR-Presse: Beitraege und Materialien
Aus: Lüg Vaterland. Erziehung in der DDR, München 1990, S. 175-185
Die Kampfpresse der FDJ
Eine wichtige Rolle bei der Erziehung kommt der Presse zu. Im Frühjahr 1989 kritisierten Studenten der Universität Jena in ihren FDJ-Zirkeln das Verbot des sowjetischen „Sputnik“-Journals. Aus Berlin reist daraufhin der Abteilungsleiter für Agitation und Propaganda beim ZK der SED an, um wenigstens im Kreise der Genossen Jurastudenten die scharfe Linie zu begründen. Einige Passagen geraten ihm zu einem Klartext, wie man ihn ansonsten nur hinter Polstertüren vernimmt:
Die DDR-Medien sind Parteimedien und Mittel zur Propagierung der Erfolge des Sozialismus. Keine Presse in der Welt druckt alles, und auch wir drucken nur, was uns paßt. ( ...) Die Medien sind nicht Plattform des Gegners. Jede Form von Pluralismus und Meinungsverschiedenheit schadet dem Sozialismus und bringt die Anarchie. Wir brauchen Erfolg, Erfolg, Erfolg, um weiterzukommen... und daher ist die Aufgabe der Medien die Aufspürung des Erfolges. (...) Der Sozialismus hat drei Gegner: 1. den Imperialismus; 2. Intellektuelle, Künstler, Journalisten aus dem Osten, die von der Linie abweichen; 3. Gegner von innen…Wir können aus der SU nichts übernehmen – oder wollt ihr etwa, daß wir den Schnaps verbieten ?[1]
Die Enthüllung deckt sich mit der täglichen Erfahrung des DDR-Zeitungskonsumenten. Die hauseigene Mischung aus Erfolgsjubel und Bilanzoptimismus, aus Sport und Kultur, anheimelnd Lokalem und gezielten Schlägen mit der Politpritsche auf Köpfe von Gegnern aller Art weckt inzwischen propagandistisch niemanden mehr auf.
Und doch wirkt sie über die Jahre. Wer ständig Bürokratensprache hört und liest, kann sich einer Denklähmung auf Dauer nicht entziehen. Als vor einigen Jahren beispielsweise die häßlichen Losungen aus den Stadtbildern verschwanden, konnte die Partei den Exodus ihres Zierats durchaus verschmerzen: Nach Jahrzehnten optischen Hämmerns saßen die Parolen fest in den Köpfen.
Der Kampf- und Bürokratenjargon bringt gleich mehrere Vorteile: Besetzte Begriffe wie „Freiheit“ oder „Demokratie“ schleifen sich, koppelt man sie immer wieder hartnäckig an „DDR“, doch bei so manchem allmählich als DDR-typisch ins Gedächtnis. Und nebenbei läßt sich auch der leidige Prozeß, ständig „wissenschaftlich Fundiertes“ in die Paßform einer neuen Realität pressen zu müssen, viel unauffälliger bewältigen, wenn der genervte Leser die „Seiten der Monotonie“ nur überfliegt oder gleich von vornherein überblättert.
Die besondere journalistische Aufmerksamkeit der Partei gilt jedoch der Jugend, dem ausgemachten „Zielobjekt des Klassengegners“. Konsequent setzt sie der Infiltration durch das Westfernsehen die eigene Jugendpresse mit einem klaren Erziehungsprogramm entgegen. Als Hauptwaffe wird hier die „Junge Welt“ eingesetzt, das tägliche
Kampforgan des FDJ-Zentralrats. Und damit das wenig attraktive Blatt am Kiosk nicht liegenbleibt, gehört es zur Pflichtlektüre eines jeden Jugendfreundes.
Die „Junge Welt“ stellt zum einen eine Art Miniausgabe des „Neuen Deutschland“ dar; die aktuellen Meldungen werden hier in Kurzform wiedergegeben. Das Erziehungsprogramm der Zeitung aber ist geschickt ausgeklügelt und auf die gleichzeitige Bewältigung aller großen Probleme zugeschnitten. Über einen kumpeligen Ton wird zunächst versucht, den privaten Interessen der Jugendlichen gerecht zu werden. Fürsorglich widmet sich das Blatt dem ersten sexuellen Erlebnis, der neuesten Mode, dem Sport.
Dann folgen die Schwerpunkte. Ein breites Feld wird stets der „wissenschaftlich-technischen Revolution“ eingeräumt – jede Ausgabe wimmelt von FDJlern, die (bevorzugt im Blauhemd) an Computern basteln und sichtlich von der „Liebe zur Wissenschaft und Technik durchdrungen“ sind. Den zweiten Schwerpunkt setzt die Erziehung zum „festen Klassenstandpunkt“ – und hier gerät das Organ regelrecht zur Keule: Patriotismus, Wehrbereitschaft, Disziplin und Linientreue werden per Leitartikel, Kommentar oder Leserbrief dem Jugendlichen unermüdlich ins Bewußtsein gehämmert. Ins beliebte Frage/Antwort-Spiel wird verpackt, was die Partei der Jugend mitzuteilen hat. Werden Zweifel und Fragen ausgeräumt, das heißt abgewürgt.
Legt beispielsweise die „Junge Welt“ Ulla D. aus Riesa die Frage in den Mund: „Warum ist bei uns die SED die führende Kraft der Gesellschaft?“, so kann sie selbst unmißverständlich darauf antworten: „Weil sie ein Recht dazu hat. Weil die Kommunisten für diese Gesellschaft gekämpft haben, die objektiv den Interessen der Arbeiter entspricht: frei von Ausbeutung und Unterdrückung.“ (JW, 30.3.89). Und gilt es mal wieder, den Reisedrang junger Leute einzudämmen, so serviert die „Junge Welt“ eine Serie von Leserbriefen, in denen all das aufgezählt wird, was wichtiger ist als Reisen.
Demagogisch bis zur „Stürmer“-Manier aber wird das Blatt, wenn es gilt, „Staatsfeinde“ zu entlarven – besonders solche, mit denen Jugendliche sich identifizieren. Da wird rhetorisch massakriert und in den Spucknapf „Neonazi“ entleert, was der Partei an linken Brocken im Halse würgt. Mitglieder der Friedens- und Menschenrechtsbewegung sehen sich „aus dem Westen gesteuert“ und Umweltschützer zu Verbrechern erklärt, die eine „gerechte Strafe verdienen“. Und da Jugendliche bei weitem nicht so leicht anbeißen, wie sie sollen, wird auch dann noch nachgeheizt, wenn die Objekte schon nicht mehr greifbar sind.
So arbeitete ich in den Jahren 1986/87 an einem Manuskript über die Schulpolitik der SED, über ihre Erziehungsmechanismen, den Verfall von Kultur und Bildung in der DDR, den Verlust von Geschichte.
Das Thema paßte den Staatsorganen wohl nicht: Während einer Durchsuchung meiner Wohnung kurz nach der Verhaftung von Stephan Krawczyk im Januar 1988 beschlagnahmte die Staatssicherheit das Manuskript, soweit sie dessen habhaft werden konnte. In der Vermutung: „Das kann doch nicht alles gewesen sein“ langte sie dann noch einmal zielstrebig nach: Anläßlich meiner eigenen Verhaftung eine Woche später wurden Wohnung, Keller und Boden erneut auf den Kopf gestellt.
So mag sie auch nicht begeistert gewesen sein, als ich mich nach meiner Ausbürgerung an den (Westberliner) Schreibtisch setzte und das Ganze mühsam von vorn begann.
Denn die Problematik hatte sich nicht erledigt, sondern an Schärfe noch zugenommen. Nicht nur das Ausreisebedürfnis der Jugendlichen war weiter gestiegen, sondern auch die neonazistischen Umtriebe. So kam schließlich auch das FDJ-Blatt nicht umhin, diesem Problem die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
Also konnte ich in der „Jungen Welt“ vom 16.9.88 ein Interview lesen, das Chefredakteur Schütt (der Experte für den Rührkuchen „Man nehme eine Handvoll Neonazis und eine Handvoll linker Kritiker, werfe sie in eine Schüssel und rühre kräftig um“) mit dem Autor Stephan Hermlin führte. Es ging um Antifaschismus und die Besorgnis gegenüber den zunehmenden neonazistischen Auswüchsen. Und mittendrin schiebt sich da plötzlich ein anderes Thema ins Interview – eines, von dem man zunächst meinen könnte, es gehöre da gar nicht hin. Ich las:
Schütt: Gegenwärtig versuchen sich dieser Stephan Krawczyk und diese Freya Klier an einem Buch über den angeblichen Zusammenbruch der Kultur in der DDR.
Hermlin: Es hat etwas Komisches, wenn Leute vom Zusammenbruch reden in einem Augenblick, in dem die europäische Öffentlichkeit mit größtem Respekt von den Leistungen dieser Kultur spricht.“
Nun geht es hier nicht um die traurige Rolle Hermlins (der übrigens als PEN-Vorsitzender der DDR keinerlei Anstalten machte, gegen den Vorgang einer Manuskript-Beschlagnahmung zu protestieren). Es geht um die Kombination Neonazi–Krawczyk/Klier–Neonazi. Es geht um den Abbau von Identifikation (so ist Krawczyk, ein Dauerbrenner des FDJ-Schwerpunkts „Diffamierung“, am Manuskript nicht beteiligt, was Herr Schütt sehr wohl weiß). Und es geht darum, ein Gefühl des Bedrohtseins zu erzeugen: Der „Kulturzusammenbruch in der DDR“ (ein von Hermlin brav aufgegriffener FDJ-Unsinn) soll dem jugendlichen Leser den vom „Feind“ gewünschten Zusammenbruch der DDR assoziieren.
Das Verfahren hat Tradition, ihm sind Renegaten verschiedener Generationen zum Opfer gefallen. Das FDJ-Blatt hat da scharfe Kaliber auf Lager. So wurde beispielsweise ein Jahr zuvor der ahnungs- und geschichtslosen DDR-Jugend plötzlich Rudolf Bahro nahegebracht: als „Möchtegernphilosoph“ und „vorbestrafter Krimineller“. Das ist Aufarbeitung von Geschichte nach „Art des Hauses“.
Doch das Blatt kann auch anders. Berichtet es beispielsweise über Länder der Dritten Welt, so bleibt es meist dicht an der Realität, benennt es nicht nur die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, sondern auch deren Ursachen und Verflechtungen. Der breite Raum, den das Thema „Dritte Welt“ in der Informationspolitik einnimmt, mag wohl ein Grund dafür sein, daß die Sensibilität von DDR-Jugendlichen gegenüber dem Elend afrikanischer Frauen, Kinder und Männer im allgemeinen stärker ausgeprägt ist als etwa bei Gleichaltrigen in der Bundesrepublik, für die –im hektischen Schauplatzwechsel des westlichen Medienmarktes – äthiopisches Sterben allzuleicht in einem Mischmasch aus Video-Clips, Werbung und Familienserien untergehen kann.
Übersieht man also den kleinen Schönheitsfehler, daß auch die DDR-Presse Folter glatt unterschlägt, wenn sie von „Freundesland“ berichtet, so gelingt ihr die Dritte-Welt-Schiene noch am überzeugendsten.
Doch je näher das Brennglas dem eigenen Zentrum rückt, desto demagogischer geraten Inhalt und Stil, desto grober schlägt die Propagandakeule zu. Da erstrahlt die Heimat DDR in den leuchtendsten Farben, während für den anderen Teil Deutschlands der Pinsel in ein tiefes Schwarz getaucht wird. Der Grund ist nachvollziehbar; der schrille Farbkontrast soll den Fluchttrieb Jugendlicher eindämmen. Der Erfolg indes ist zweifelhaft, denn ein derart plakatives Farbenspiel stumpft eher ab, als daß es Heimatliebe erzeugt.
Nicht, daß das alles ohne Wirkung bliebe – das fast durchgehend als „ätzend“ und „beschissen“ eingestufte Blatt leistet auf Dauer schon seinen Beitrag. So ordneten beispielsweise etliche von mir befragte Jugendliche, die keineswegs im Verdacht standen, sich ihre Heimat schönzugucken, den Begriff „Berufsverbot“ klar dem Westen zu. Um aber die Tatsache, daß sie selbst trotz gesellschaftlichen Engagements und einer hohen Intelligenz nur Betonbauer oder Textilfacharbeiterin werden durften, ebenfalls als Berufsverbot zu begreifen, war noch einmal ein aufwendiger Denkvorgang nötig.
Dem Drang, der DDR entfliehen zu wollen, kommt man mit dieser Art Propaganda allerdings nicht bei. Denn die Partei übersieht etwas Wesentliches: Der Hauptantrieb zur Ausreise ist für Jugendliche nicht in erster Linie ein „Auf in den goldenen Westen“, sondern in erster Linie ein „Raus aus der bedrückenden DDR“. Das ist ein gravierender Unterschied, der das „Plus“ von vornherein dort ansiedelt, wo DDR nicht ist.
Und so verliert auch das Wort „Arbeitslosigkeit“ (zumal aus der Ferne) seinen Schrecken. Besonders dann, wenn man selbst zu einem Beruf gezwungen wurde, der einen anödet, und besonders dann, wenn einem ausgerechnet die FDJ-Zeitung diese Nachricht tagtäglich um die Ohren schlägt. Denn daß dieses Blatt unglaubwürdig ist, das weiß man aus seinen Berichten über jenen Teil der Realität, den man selbst ganz gut kennt: den eigenen. Von daher haben auch Schreckensmeldungen über den Niedergang, den Ausgereiste im Westen erleben, keinerlei Bannkraft.
Nun entspricht es durchaus den Tatsachen, daß viele Übersiedler, vor allem ältere, den Wechsel von Deutschland nach Deutschland nur schwer verkraften, und daß etliche von ihnen im Bodensatz der Zweidrittel-Gesellschaft hängenbleiben. Ihre bedrückenden Schicksale werden von der SED genüßlich zelebriert – der Auslöser dieser Misere übt sich in täglicher Schadenfreude.
Doch ist das eben nur ein Drittel der Wahrheit. Und die Partei hat das Pech, daß ihrer Jugend vor allem die restlichen zwei Drittel zu Ohren kommen. Denn deren Informationen speisen sich vor allem aus den Rückmeldungen Gleichaltriger. Und da junge Leute im allgemeinen mobiler sind als ihre Eltern und zudem in der DDR kaum verwurzelt waren, kommen sie auch in der „neuen Welt“ besser zurecht. So kann eine Postkarte aus Griechenland mitunter ganze Kilos von Druckerschwärze beiseite wischen, die die „Junge Welt“ investiert hatte, um den Fluchtdrang zu stoppen.
Inzwischen (und beschleunigt durch Reaktionen auf Ereignisse wie das Massaker auf dem Tiananmen-Platz) ist die Glaubwürdigkeit der DDR-Medien derart in den Keller gesackt, daß die FDJ-Zeitung beauftragt wurde, den Jugendlichen die Gretchen-Frage zu stellen.
Krampfhaft und durchaus erfolglos wirft sich im Juni 1989 der stellvertretende Chefredakteur der „Jungen Welt“ ins Zeug, um die vom Glauben an den Wahrheitsgehalt der DDR-Berichterstattung abgefallene Generation wieder einzufangen:
WEM GLAUBE ICH, WENN'S UM POLITIK GEHT?
Der Aktuellen Kamera oder der Tagesschau? Den Frühnachrichten des Berliner Rundfunks oder denen von Rias 2? Vertraue ich den Berichten von DDR-Fernseh-korrespondent Mathias Ehrich, den Berichten von adn-Korrespondent Otto Mann, der nun schon viele Jahre in China »zu Hause« ist, ein exzellenter Kenner von Sprache und Land, oder glaube ich den Berichten von Jürgen Bertram, Korrespondent des Westfernsehens an selber Stelle? Wem glaube ich also, wenn's um Politik geht?
Die Frage steht. Denn die Berichte beider Seiten über die Vorgänge in Peking unterscheiden sich gerade jetzt nicht irgendwo in der fünften Stelle hinter dem Komma, sondern grundsätzlich wie Tag und Nacht.
DIE SCHLAGZEILEN BEI UNS:
Volksbefreiungsarmee Chinas schlug konterrevolutionären Aufruhr nieder. Die Aufrührer beabsichtigten den Sturz der sozialistischen Ordnung. Konterrevolutionäre haben Armeefahrzeuge beim Anmarsch auf den Tiananmen demoliert, Soldaten getötet, den Sitz von Partei und Regierung angegriffen, Krankenwagen auf der Fahrt in die Ambulanz behindert. Illegale Organisationen haben auf dem Tiananmen Hieb- und Stichwaffen verteilt. Deswegen hat die Armee eingegriffen, für den Schutz der sozialistischen Ordnung.
UND DIE ANDERE SEITE:
Panzer überrollten unbewaffnete Demonstranten, Armee-Einsatz führte zu grauenvollem Blutbad. Faschistisches Vorgehen. Chinesische Kommunisten haben Feuer auf die Zukunft eröffnet. Chinas Zukunft dunkelrot. Das Land ist in eine totalitäre Diktatur zurückgefallen.[2]
Wem also glauben die Jugendlichen, wenn's um Politik geht?
Ihren eigenen Medien wohl nicht mehr – dafür hat die Partei zu gründliche Vorarbeit geleistet.
Doch wechseln die Zeiten – und daß die FDJ-Kampfpresse besonders demagogisch ausfällt, heißt offenbar nur, daß ihr journalistisches Personal vor allem nach dem Kriterium der Rückgratlosigkeit ausgesiebt wurde:
Nur Monate nach dem Massaker in China – das Volk der DDR hat sich in einem heißen Herbst mittlerweile die „Wende“ erkämpft – wendet sich auch das Scharfmacherblatt der FDJ. Nachdem es zunächst nahtlos zu seinem Hauptfeind, der DDR-Opposition, überläuft und beim Aufspüren „Schuldiger“ besonderen Eifer an den Tag legt, übernimmt die „Junge Welt“ auch beim Einstieg in die freie Marktwirtschaft eine Vorreiterrolle: Noch vor dem Wechsel zum neuen Jahr wartet sie mit einer „Quelle“- Werbung auf, einer halbseitigen...