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Das Pressefest des Neuen Deutschland Version 1.0 Hanno Hochmuth
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From DDR-Presse: Beitraege und Materialien

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Hauptfoto: File:Plakat ND Pressefest Bundesarchiv.jpg
Plakat: ND-Pressefest, Berlin, 4.-5. Juni 1988, Grafiker: unbekannt. Quelle: Plakatsammlung der SED (SBZ/DDR-Plakate) Bundesarchiv Plak 102-056-013 © mit freundlicher Genehmigung
Das Pressefest des „Neuen Deutschland“
von: Hanno Hochmuth veröffentlicht: 27.02.2017
Das Pressefest des „Neuen Deutschland” (kurz ND-Pressefest genannt) war über drei Jahrzehnte lang das größte Volksfest in Ost-Berlin.[1] Es wurde vom publizistischen „Zentralorgan der SED”[2] ausgerichtet und sollte die Verbundenheit der Partei mit allen Werktätigen zum Ausdruck bringen, indem es die Journalisten des ND mit seinen Lesern zusammenführte.[3] Das ND-Pressefest löste den Stralauer Fischzug als größtes Berliner Volksfest ab, das die SED in den 1950er-Jahren unter sozialistischen Vorzeichen reaktiviert hatte.[4] Allerdings hatten beim Stralauer Fischzug Schaustellerbuden, Alkoholgelage und andere unliebsame Elemente der traditionellen großstädtischen Festkultur weiterhin für Probleme gesorgt und den erhofften sozialistischen Charakter des Volksfestes unterminiert. Dagegen bot das ND-Pressefest die Chance zu einem Neuanfang ohne lästige Traditionsbestände. Passend dazu wurde das erste ND-Pressefest am 29. Juni 1958 auf der Stalinallee veranstaltet.[5] Die neue sozialistische Vorzeigestraße bot den angemessenen Rahmen für das neue sozialistische Volksfest.

Das ND-Pressefest sollte „ein großes Fest der Kultur, des Sports, des Tanzes, der Freude und des Humors sein”.[6] Zahlreiche Volkskunstensembles traten auf, Radsportler fuhren Rennen um den Strausberger Platz, Kinder konnten in einem eigens eingerichteten Pressefest-Kindergarten abgegeben werden, und zum Abschluss lockte ein Riesenfeuerwerk über der Stalinallee. Die „Mischung aus Volksfest und politischer Kundgebung”[7] erwies sich als großer Erfolg: 300.000 Berliner kamen zu mehr als 200 Veranstaltungen auf 30 verschiedenen Plätzen. Das „Neue Deutschland” bewertete das Pressefest als „Durchbruch zur Erhöhung der Popularität und Autorität der führenden Zeitung unserer Partei”,[8] und die „Berliner Zeitung”' betrachtete die internationale Großkundgebung mit Otto Grotewohl als den Höhepunkt des Festes, das auch im Folgejahr mit einer klar politischen Ausrichtung wiederholt wurde.[9] Dieses Mal traten Armee-Ensembles aus der UdSSR, der Tschechoslowakei, Polen und der DDR auf, der Siebenjahrplan wurde in Bildern inszeniert, und die Bezirke der DDR gestalteten eine große Freiluftausstellung unter dem Motto „Der Sozialismus siegt”.[10]


Das Pressefest im Volkspark Friedrichshain

Die Stalinallee erwies sich auf längere Sicht jedoch als ungeeignet für die Vorbereitung und Ausrichtung einer solchen großen Festveranstaltung. So wurde das ND-Pressefest 1961 in den nahe gelegenen Volkspark Friedrichshain verlegt, „um den Berlinern und allen anderen Gästen im weiten Grün Stunden echter Erholung, Freude und Entspannung zu bereiten”.[11] Die 50 Hektar große Parkanlage bot mit ihren zahlreichen Freiflächen weitaus mehr Platz für die Ausrichtung des Volksfestes, das von nun an jedes Jahr im Volkspark Friedrichshain veranstaltet und auf zwei Tage ausgedehnt wurde.[12] Im Hain befand sich seit 1950 eine große Freilichtbühne mit 2000 Plätzen, die für Konzerte und Versammlungen im Rahmen des Pressefestes genutzt werden konnte. Zudem bot der 1840 eingeweihte Volkspark zahlreiche Anknüpfungspunkte an die Geschichte der Arbeiterbewegung.[13] Gleich neben dem Friedhof der Märzgefallenen und der Opfer der Novemberrevolution knüpfte die SED auf dem ND-Pressefest an die proletarischen Traditionen Berlins an und demonstrierte ihre Verbundenheit mit der Arbeiterklasse.

Auf dem Pressefest warb das „Neue Deutschland” um die Gunst seiner Leser und der Bevölkerung. Im zentral gelegenen Pressezentrum gewährten die Zeitungsmacher einen „Blick hinter die Kulissen der ‚schwarzen Kunst'”.[14] Eine Ausstellung zeigte einen Fernschreiber, das funktionstüchtige Modell einer modernen Rotationsmaschine und einen Tiegeldruckautomaten. Nebenan beantworteten Redakteure und Korrespondenten des ND, unter ihnen Chefredakteur Hermann Axen (1916-1992), die Fragen interessierter Besucher.[15] Darüber hinaus versammelten sich im Pressezentrum die Vertreter von befreundeten sozialistischen Tageszeitungen aus aller Welt – von der „Prawda” aus Moskau bis zur „l'Humanité” aus Paris. Auf diese Weise wurde die Welt in die Stadt geholt. Doch nicht nur die internationale Solidarität wurde beschworen. Das ND-Pressefest besaß bis zum Mauerbau auch noch einen gesamtdeutschen Anspruch. So bilanzierte das ND im Juni 1961: „Kopf an Kopf lauschten Tausende von Berlinern aus beiden Teilen der Stadt den Darbietungen auf 20 Bühnen und Plätzen während des IV. ND-Pressefests im Volkspark am Friedrichshain.”[16]


Kulturvolle Unterhaltung

Trotz des Mauerbaus wurde das ND-Pressefest in den Folgejahren immer größer und bedeutender, zumal es nun gänzlich die Funktion des Stralauer Fischzugs übernahm und einen überregionalen Charakter beanspruchte.[17] Der Rundfunk und das Fernsehen der DDR übertrugen live vom Pressefest, das die gesamte Breite der Kultur in der DDR repräsentieren sollte:

„Da waren die Künstler von Oper, Bühne, Film und Varieté, die Volkskunstensembles und die Sportler, ohne die kein Pressefest zu denken ist. Da waren die Armeeorchester aus Volkspolen und der ČSSR, das der zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte und das des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR. Junge und alte Talente standen auf den Bühnen und kündeten von den Erfolgen auf dem Bitterfelder Weg, von der Gemeinschaft zwischen Berufs- und Laienkünstlern und vom sozialistischen Lebensgefühl, das Tausende neue schöpferische Kräfte geweckt hat.”[18]

Als sozialistisches Volksfest sollte das ND-Pressefest zu Beginn der 1960er-Jahre nicht in erster Linie dem reinen Vergnügen dienen, sondern kulturvolle Unterhaltung bieten. Im Sinne des zitierten „Bitterfelder Weges”[19] war dabei wichtig, dass das Kulturprogramm nicht ausschließlich von professionellen Künstlern bestritten wurde, sondern dass sich eine Vielzahl von Laienkünstlern aus den Betrieben und aus den Streitkräften an der Gestaltung des Festes beteiligte. Auch beim ND-Pressefest sollte die Kluft zwischen Kunst und Leben aufgehoben werden. Die Besucher sollten das Programm nicht nur konsumieren, sondern aktiv daran teilhaben.

Abb. 1: Lageplan des ND-Pressefestes (1981), Neues Deutschland, 16. Juni 1981, S. 8; Staatsbibliothek zu Berlin ZEFYS DDR-Presse ©

Das Programm des Pressefestes wurde indes immer unübersichtlicher. Das ND wurde nicht müde, auf die zahlreichen Wahlmöglichkeiten hinzuweisen, und hob in den Tagen vor dem jeweiligen Pressefest die sogenannten Knüller im Festprogramm hervor. Über diese Vorabberichte und die ausführlichen Veranstaltungsinformationen an den eigentlichen Festtagen lässt sich das Programm des ND-Pressefestes gut rekonstruieren. So zeigen die detaillierten Lagepläne, die im Vorfeld des Presseberichts im ND und in der „Berliner Zeitung“ abgedruckt wurden, dass der gesamte Volkspark Friedrichshain als Festgelände diente. Deutlich wird dabei zugleich die große thematische Bandbreite des Pressefestes (Abb. 1).

Einerseits gab es Programmpunkte, die sich über drei Jahrzehnte hinweg kaum veränderten und zum festen Standard des ND-Pressefests gehörten: Neben dem Pressezentrum am großen Schwanenteich waren dies vor allem die verschiedenen Angebote des Breitensports. Radrennen, Laufwettbewerbe, Turnübungen, Amateurboxkämpfe und Großschachturniere mobilisierten die Bevölkerung und propagierten ein gesundes Leben. Mal- und Bastelstraßen hielten die Kinder bei Laune, während sich die Eltern die Modenschauen Berliner Konfektionsbetriebe am Märchenbrunnen anschauten. Prominente Schriftsteller gaben Lesungen und signierten Bücher. Die SED informierte über aktuelle Kampagnen und warb für die Freiheitskämpfe des ANC, der PLO oder der Sandinisten in Nicaragua. Im Zeichen der internationalen Solidarität stand schließlich auch die große Tombola des ND-Pressefestes, die sich bei den Besuchern jedes Jahr großer Beliebtheit erfreute – nicht zuletzt weil es hier einen PKW Trabant zu gewinnen gab.

Abbildung 2: Ein Unterfeldwebel der NVA präsentiert Kindern Militärtechnik auf dem ND-Pressefest am 2. Juni 1973; Foto: Hartmut Reiche (ADN-ZB), Bundesarchiv Bild 183-M0602-0023 © mit freundlicher Genehmigung

Andererseits wies das Programm des Pressefestes aber auch einen deutlichen Wandel auf. So wurde der Präsentation von Militärtechnik von Jahr zu Jahr ein immer größerer Raum geschenkt (Abb. 2). Die Nationale Volksarmee (NVA) zeigte ihre neuesten Waffen und ließ Kinder in Panzerwagen steigen, die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) lud zu Schießübungen ein, und die Volkspolizei stellte die Fähigkeiten ihrer Polizeihunde unter Beweis. Dabei dienten die Militärübungen nicht nur der Nachwuchsrekrutierung und der Demonstration von Wehrbereitschaft, sondern auch der Unterhaltung. Dies galt insbesondere für die jüngeren Besucher des Pressefestes, die in Scharen zu den Militärvorführungen strömten. Damit lagen die Vorführungen ganz im Trend der stärkeren Unterhaltungsorientierung, die das Pressefest seit den 1970er-Jahren kennzeichnete.


Konsum und Vergnügen

Aus dem sozialistischen Volksfest wurde mehr und mehr ein temporärer Vergnügungspark. So versprach das ND 1971: „Das Programm hält für die ganze Familie Attraktionen und Überraschungen in Fülle bereit, Entspannung und Vergnügen sind Trumpf auf dem großen Volksfest des Neuen Deutschland und der Berliner.“[20] Zwar gab es auf dem Pressefest weiterhin politische Programmpunkte wie eine Ausstellung zur Vorbereitung des XIII. Parteitags der SED, doch wurde den Interessen und Bedürfnissen der Festbesucher inzwischen immer stärker Rechnung getragen. Auf den Bühnen wurde mehr Tanz- und Unterhaltungsmusik gespielt, ein Weinrestaurant am Märchenbrunnen versprach französische Lebensart, eine Oldtimer-Parade zog die Technikbegeisterten an, und ein Bücher- und Plattenbasar des Centrum Warenhauses bot die Möglichkeit, begehrte Literatur und Musik zu erstehen.[21] Die Veranstalter des Pressefestes erkannten die Konsumwünsche der Besucher in zunehmendem Maße an und versuchten, sie durch vielfältige Konsumangebote zu befriedigen, die immer offener beworben wurden:

„[...] allein an den Verkaufsständen für Bücher, Schallplatten, Sportartikel, Spielzeug, Getränke, Imbiß, Naschereien, Blumen, Souvenirs und vieles andere sind rund 1000 Frauen und Männer vom Handel auf ihre Gäste vorbereitet. Übrigens, im vergangenen Jahr wurden so viele Bockwürste verkauft, daß sie aneinandergereiht eine Kette vom Pressezentrum bis zur Spitze des Fernsehturms ergeben hätten. Aber natürlich geht es nicht nur um die beliebte Berliner Wurscht. Spezialitäten von Geflügel und Fisch sowie Gegrilltes werden angeboten. Der erzgebirgische Meiler, die Harzer Köhler-Hütten und auch die Spreewälder Folkloregaststätte haben sich gut vorbereitet. Es sind außerdem über tausend zusätzliche Gaststättenplätze geschaffen worden. An jeder größeren Bühne befindet sich ein Versorgungszentrum, in dem Erfrischungen und Imbiß zu haben sind. Man kann sich also in aller Gemütsruhe den vielen bunten Programmen hingeben.”[22]

Beim ND-Pressefest in der Hauptstadt sollte es keinen Mangel geben. Der Ausbau der Gastronomie beschränkte sich indes nicht allein auf die zwei Junitage des Pressefestes. Der Volkspark Friedrichshain wurde ein Ort des permanenten Vergnügens. Hierfür wurde die Parkanlage von 1969 bis 1973 aufwendig umgestaltet. Am großen Schwanenteich entstand ein Freizeitzentrum mit Kegelbahn, Tischtennis, Minigolf und Schachfeld.[23] Zudem wurden erstmals zwei dauerhafte Biergärten im Hain geschaffen: Die „Harzer Köhlerhütte” und das „Spreewaldhaus” etablierten sich als zentrale Biertempel Ost-Berlins, wo es – so die gängige Meinung – die besten „Goldbroiler” der Hauptstadt gab.[24] Zugleich warben sie für zwei beliebte Urlaubsregionen in der DDR. Der ausgiebige Konsum sollte somit das Heimatbewusstsein stärken. Der Wandel des ND-Pressefestes und der Ausbau des Volksparks Friedrichshain zum Ort des Vergnügens stehen insofern beispielhaft für die neue Konsumpolitik in der Ära Honecker, die mit Zugeständnissen an den Publikumsgeschmack die Loyalität der eigenen Bevölkerung erkaufen wollte.[25]

Abbildung 3: Erich Honecker bei der Eröffnung des Sport- und Erholungszentrums (SEZ) am 20. März 1981; Foto: Hartmut Reiche (ADN-ZB), Bundesarchiv Bild 183-Z0320-406 © mit freundlicher Genehmigung

Der Höhepunkt der staatlichen Vergnügungspolitik im Volkspark Friedrichshain war das Sport- und Erholungszentrum (SEZ), das als „Geschenk an die Berliner Bevölkerung” vor den Volkskammerwahlen 1981 durch ein schwedisches Architektenteam errichtet und am 20. März 1981 durch Erich Honecker (1912-1994) eingeweiht wurde (Abb. 3).[26] Es bot ein spektakuläres Wellenbad, eine Sauna, ein Solarium, eine Bowlingbahn, eine Turnhalle, mehrere Fitnessräume und eine Rollschuhbahn, die im Winter zur Eislaufhalle umfunktioniert wurde.[27] Die Kombination aus Sportstätte, Spaßbad und Gaststättenkomplex lockte täglich bis zu 15.000 Besucher an.[28] Durch die Fernsehsendung „Medizin nach Noten” war das SEZ weit über Ost-Berlin hinaus bekannt.[29] Es kamen Besucher aus der ganzen DDR, um sich das Sonderbauvorhaben für die Hauptstadt anzuschauen.[30] 1987 wurde das SEZ erstmals in das ND-Pressefest miteinbezogen. Dabei wurden nicht nur die weitläufigen Außenanlagen mit ihren Minigolfplätzen und Klettergerüsten genutzt, sondern auch das Schwimmbad, wo ein Wettangeln aufblasbarer Schwimmtiere veranstaltet wurde. Auf diese Weise sollte 25 Jahre nach seiner Einstellung der traditionelle Stralauer Fischzug wiederbelebt werden.[31]


Wiederkehr der Tradition

Abb. 4: Aus Anlass der 750-Jahr-Feier Berlins traten auf dem 28. ND-Pressefest am 13. Juni 1987 zahlreiche „Berliner Originale“ auf; Foto: Peter Grimm (ADN-ZB), Bundesarchiv Bild 183-1987-0612-007 © mit freundlicher Genehmigung

1987 erreichte die Wiederkehr des Historischen ihren Höhepunkt.[32] Das ND-Pressefest stand in diesem Jahr ganz im Zeichen der 750-Jahr-Feier Berlins (Abb. 4).[33] In zahlreichen Buden wurde ein historisches Marktleben inszeniert; das Restaurantzelt „Zum Pinselheinrich” sollte an den Berliner Grafiker und Maler Heinrich Zille (1858-1929) und sein Alt-Berliner Milieu erinnern; historische Turnübungen und Ruderwettkämpfe luden ein zu einer Reise in die Vergangenheit, die vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Auch das Unterhaltungsprogramm änderte sich beträchtlich. Anstelle der gewohnten Militärkapellen des Warschauer Pakts traten nun Formationen wie „Rockhaus” und „Formel I” sowie die britische Gruppe „Equals” auf, während auf anderen Bühnen Dixieland, Bluegrass und Skifflemusik gespielt wurde. Das FDJ-Zentrum bot ein Programm von Rock und Pop über Mode bis hin zu Skateboard-Sportlern; und die Hochseiltruppe Traber zeigte gewagte Artistik mit dem Motorrad in luftiger Höhe.[34] Es herrschte ein regelrechter Überbietungswettbewerb, denn noch nie war das Angebot auf dem ND-Pressefest mit 5800 Berufs- und Laienkünstlern und 800 Stunden Programm auf 47 Bühnen, Podien und Plätzen so umfangreich gewesen wie 1987. Die „Berliner Zeitung” versprach „nonstop Aktion” und machte damit deutlich, aus welcher Richtung der Wind inzwischen wehte.[35]

Die neuartige Mischung aus historisierender Folklore und westlicher Unterhaltung verfehlte nicht ihre Wirkung. Mit offiziell 460.000 Besuchern verzeichnete das ND-Pressefest von 1987 einen neuen Besucherrekord.[36] Wie in jedem Jahr wurden die hohen Besucherzahlen im ND als Ausdruck der Verbundenheit der Bevölkerung mit der Partei der Arbeiterklasse interpretiert. Doch auch wenn viele Darbietungen auf dem Pressefest als Leistungen des Sozialismus angepriesen wurden, dominierten bei deren Rezeption eher lebensweltliche und vorpolitische Zugänge und Aneignungsweisen.[37] Im Laufe der dreißigjährigen Geschichte des ND-Pressefestes mussten die Veranstalter sukzessive anerkennen, dass die Mehrheit der Festbesucher vor allem am Vergnügen interessiert war.[38] Obwohl das ND-Pressefest als sozialistisches Volksfest ins Leben gerufen worden war, das einen Gegenentwurf zum traditionellen Rummelcharakter Berliner Volksfeste darstellen sollte, entwickelte es sich seit den 1970er-Jahren zunehmend zu einer kommerzialisierten Unterhaltungs- und Konsumveranstaltung. Politische Propaganda und sozialistische Solidarität blieben zwar weiterhin wichtige Bestandteile des Pressefestes, doch wurde dem Vergnügen immer mehr Raum gewährt, indem zahllose Zugeständnisse an westliche Unterhaltungsstandards gemacht wurden.[39]

Zugleich kehrten die Traditionen zurück. Das Pressefest knüpfte nicht nur verstärkt an die Geschichte der Berliner Arbeiter- und Vergnügungskultur an, sondern feierte sich auch zunehmend selbst. Zum 30. ND-Pressefest am 3./4. Juni 1989, das zugleich das letzte in dieser Form sein sollte, startete das ND einen Aufruf an seine Leser und bat um persönliche Erinnerungsstücke aus drei Jahrzehnten ND-Pressefest.[40] Wie schon bei den Leserfoto-Wettbewerben in den drei Vorjahren sollten die Leser durch neue Partizipationsangebote stärker an die Partei und ihre Zeitung gebunden werden. Neu war hingegen, dass diese Kampagnen nicht mehr in die Zukunft wiesen, sondern in die Vergangenheit. Die eigene Tradition war ein Wert an sich geworden und versprach inzwischen mehr Orientierung als der erlahmte Glaube an den Fortschritt. Das ND-Pressefest kam damit letztlich da an, wo der Stralauer Fischzug aufgehört hatte: Das traditionelle Vergnügen und das Vergnügen an der Tradition lösten das sozialistische Volksfest ab.


Anmerkungen

  1. Trotz der Bedeutung des Volksfestes gibt es zum ND-Pressefest gibt bislang kaum wissenschaftliche Literatur. Knappe Hinweise auf das Fest enthält lediglich Burghard Ciesla/Dirk Külow, Zwischen den Zeilen. Geschichte der Zeitung „Neues Deutschland“, Berlin 2009, S. 129-131.
  2. Zur Geschichte des „Neuen Deutschland“ vgl. einführend Burghard Ciesla, Zur Geschichte des „Neuen Deutschland“, in: Presse in der DDR. Beiträge und Materialien, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, veröffentlicht am 29.3.2012; online unter: http://pressegeschichte.docupedia.de/wiki/Neues_Deutschland_Version_1.0_Burghard_Ciesla (Abruf: 6.2.2017).
  3. Vgl. Stefan Sommer, Lexikon des Alltags der DDR, Berlin 1999, S. 239.
  4. Zur Geschichte des Stralauer Fischzugs in der DDR vgl. Cornelia Kühn, Sozialistische Folklore? Der Stralauer Fischzug in Berlin zwischen 1954 und 1962, in: Deutschland Archiv 44 (2011) H. 4, S. 561-569; online unter: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/53217/stralauer-fischzug-19541962?p=all (Abruf: 6.2.2017).
  5. Burghard Ciesla und Dirk Külow datieren das erste ND-Pressefest fälschlich auf den 1. Juni 1958. Vgl. Ciesla/Külow, Zwischen den Zeilen, S. 129. Den Anlass für das erste ND-Pressefest bildete jedoch am 29. Juni 1958 der 110. Jahrestag des Erscheinens der von Karl Marx begründeten und geleiteten „Neuen Rheinischen Zeitung“. Siehe Neues Deutschland, 3. Juli 1958, S. 2. Die entsprechende Ausgabe des ND sind ebenso wie die folgenden Zeitungsbelege im DDR-Presseportal der Staatsbibliothek zu Berlin einsehbar. Die Nutzung setzt eine Anmeldung bei der Staatsbibliothek oder bei Xlogon voraus: http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/ddr-presse.
  6. Neues Deutschland, 10. Mai 1958, S. 3.
  7. Ciesla/Külow, Zwischen den Zeilen, S. 130.
  8. Neues Deutschland, 3. Juli 1958, S. 2.
  9. Berliner Zeitung, 1. Juli 1958, S. 6.
  10. Siehe Neues Deutschland, 4. Juni 1959, S. 8.
  11. Neues Deutschland, 18. Mai 1961, S. 8.
  12. Nur zweimal – 1979 und 1984 – fiel das ND-Pressefest aus, weil zur selben Zeit das Nationale Jugendfestival der FDJ veranstaltet wurde. Vgl. Ciesla/Külow, Zwischen den Zeilen, S. 131.
  13. Zur Geschichte des Volksparks Friedrichshain vgl. Ralph-Jürgen Lischke, Der Volkspark Friedrichshain, in: Martin Düspohl/Dirk Moldt (Hrsg.), Kleine Friedrichshain-Geschichte, Berlin 2013, S. 46-61; Sabine Molter, Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Rund um den Volkspark Friedrichshain, Berlin 1991.
  14. Berliner Zeitung, 5. Juni 1961, S. 1.
  15. Siehe ebd.
  16. Neues Deutschland, 5. Juni 1961, S. 1.
  17. Rat d. Stadtbezirks Friedrichshain, Abt. Kultur, Vorlage für das Büro der Kreisleitung der SED, 20.12.1961, Landesarchiv Berlin C Rep. 135-1, Nr. 362, Bd. 6, Bl. 1-5, hier 1f.
  18. Neues Deutschland, 18. Juni 1963, S. 8.
  19. Der 1959 verkündete „Bitterfelder Weg“ sollte Werktätigen den Zugang zu Kunst und Kultur ermöglichen, indem Arbeiter selbst „zur Feder griffen“ und Künstler die Arbeit in den volkseigenen Betrieben zu ihrem Gegenstand wählten. Vgl. Simone Barck, Bitterfelder Nachlese. Ein Kulturpalast, seine Konferenzen und Wirkungen, Berlin 2007.
  20. Berliner Zeitung, 8. Juni 1971, S. 8.
  21. Siehe Neues Deutschland, 9. Juni 1971, S. 8.
  22. Neues Deutschland, 4. Juni 1977, S. 8.
  23. Dabei handelt es sich um das heutige Café „Schönbrunn“ in der Parkmitte zwischen den beiden Bunkerbergen.
  24. Vgl. Lischke, Der Volkspark Friedrichshain, S. 61. Zur Bedeutung des Brathähnchens, das in der DDR „Goldbroiler“ genannt wurde, vgl. Patrice Poutrus, Die Erfindung des Goldbroilers. Über den Zusammenhang zwischen Herrschaftssicherung und Konsumentwicklung in der DDR, Köln u.a. 2002.
  25. Vgl. André Steiner, Die DDR-Volkswirtschaft am Ende, in: Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.), Revolution und Vereinigung 1989/90. Als in Deutschland die Realität die Phantasie überholte, München 2009, S. 113-129, hier S. 114.
  26. Vgl. Landesdenkmalamt Berlin (Hrsg.), Denkmale in Berlin, S. 45; Dirk Moldt, Friedrichshain – mehr als ein Bezirk?, in: Martin Düspohl/Dirk Moldt (Hrsg.), Kleine Friedrichshaingeschichte, Berlin 2013, S. 9-31, hier S. 24.
  27. Vgl. Heiner Pachmann, Stadtbezirk Friedrichshain, Berlin (Ost) 1988, S. 45-49. Zum SEZ siehe auch die Materialien aus dem Archiv FHXB, Bestand Kurt Bothe.
  28. Vgl. Moldt, Friedrichshain, S. 24.
  29. In der Sendung „Medizin nach Noten“ des DDR-Fernsehens wurden in den 1980er-Jahren Aerobic-Übungen nach westlichem Vorbild gezeigt.
  30. In der Nähe des SEZ sollte zudem noch ein Haus der Jugend mit Gaststätten, Diskotheken, Lese- und Konzertsälen und einem Jugendhotel entstehen. Aus Kostengründen wurde der Bau auf der sogenannten Drachenwiese an der Werneuchener Straße direkt neben dem Volkspark Friedrichshain jedoch 1988 gestoppt. Vgl. hierzu Moldt, Friedrichshain, S. 24.
  31. Siehe Berliner Zeitung, 20. April 1987, S. 8.
  32. Vgl. hierzu v.a. Krijn Thijs, Drei Geschichten, eine Stadt. Die Berliner Stadtjubiläen von 1937 und 1987, Köln u.a. 2008.
  33. Siehe Neues Deutschland, 21. Mai 1987, S. 8.
  34. Siehe Berliner Zeitung, 15. Juni 1987, S. 8.
  35. Siehe Berliner Zeitung, 12. Juni 1987, S. 12.
  36. Siehe Neues Deutschland, 15. Juni 1987, S. 1.
  37. Vgl. Adelheid von Saldern, Öffentlichkeiten in Diktaturen. Zu den Herrschaftspraktiken im Deutschland des 20. Jahrhunderts, in: Günther Heydemann/Heinrich Oberreuter (Hrsg.), Diktaturen in Deutschland. Vergleichsaspekte, Strukturen, Institutionen und Verhaltensweisen, Bonn 2003, S. 442-475, hier S. 460.
  38. Grundlegend zur Freizeit- und Vergnügungskultur in der DDR vgl. Ulrike Häußer/Marcus Merkel (Hrsg.), Vergnügen in der DDR, Berlin 2009.
  39. Dies galt in ähnlicher Form auch für das Fernsehen in der DDR. Vgl. Hanno Hochmuth, Feindbild und Leitbild. Westfernsehen in der DDR, in: Martin Aust/Daniel Schönpflug (Hrsg.), Vom Gegner lernen. Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt/Main, New York 2007, S. 271-292.
  40. Siehe Neues Deutschland, 24. Mai 1989, S. 8.
Hanno Hochmuth
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